Armut denken - Armut lenken

Drucke, Handschriften und Objekte erzählen aus der Frühen Neuzeit


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Bittschriften erzählen von Armut

Bittschriften gehören zu den wenigen Quellen aus der Frühen Neuzeit, die konkrete Aussagen von Bedürftigen über ihre eigene Situation enthalten. Die Schriftstücke – zeitgenössisch Supplikationen genannt – waren für die Untertanen ein wichtiges Medium, um dem Landesherrn ihre Probleme und Nöte vorzutragen. Auch in Osnabrück wandten sich Bedürftige über Supplikationen an die Obrigkeit, um eine Unterstützungsleistung aus den städtischen Armenmitteln zu erbitten. Die Schreiben waren an den Bürgermeister und den Rat der Stadt gerichtet, da ihnen die Entscheidung über eine Aufnahme in die Liste der zu unterstützenden Bedürftigen oblag.

Bittschrift der Anna Sophia Brauns (1708). © NLA OS Dep 3 b VIII, Nr. 2

Einzelschicksale?!

Die Bedürftigen erzählen dem Bürgermeister und dem Stadtrat in den Bittschriften von ihrem Leben: Sie beschreiben ihre familiäre Situation und schildern körperliche Gebrechen oder andere Umstände, die zu einer finanziellen Notlage geführt haben. So auch die Witwe Anna Sophia Brauns, die sich 1708 an den Osnabrücker Stadtrat wandte:

„[…] muss [ich] höchst notdränglich klagend vortragen, wie daß mein Mann ist über 30 Jahre ein Bürger auf der Neustadt gewesen, da er als dann vor etlichen Wochen ist gestorben, und [mich] mit zwei kleinen Kindern in einer betrübten Witwenstand sitzen gelassen, davon ein Knabe in allen Gliedern ganz verlahmet, zu dem bin [ich] nicht gesund, also das [ich] meinen Kindern das Brot nicht erwerben kann. Bin derowegen genötiget christliche milde Herzen um eine christmilde Beisteuer anzusprechen.“

Anna Sophia Brauns ist erst seit einigen Wochen Witwe und muss nun ihre beiden Kinder versorgen. In ihren Ausführungen deutet sich an, dass bisher ihr Ehemann mit seiner Arbeit den Unterhalt der Familie gesichert hatte. Doch der Einkommensverlust durch seinen plötzlichen Tod ist nicht der einzige Grund für ihre Notlage. Aufgrund einer Krankheit ist die Witwe nicht arbeitsfähig und deshalb nicht dazu in der Lage, selbst für ein Einkommen zu sorgen. In solchen Fällen wurden häufiger auch die Kinder zur Arbeit verpflichtet. Aufgrund einer Lähmung scheidet der Sohn Anna Sophia Brauns aber aus, etwas zum gemeinsamen Lebensunterhalt beizutragen. Das Bittschreiben weist ausdrücklich darauf hin und betont damit die besondere Bedürftigkeit der Familie.

Solche Schilderungen bieten einen tieferen Einblick in die großen und kleinen Nöte der Mittel- und Unterschicht. Sie müssen jedoch auch kritisch hinterfragt werden. Denn natürlich war das Ziel bei jeder Bittschrift, dass dem formulierten Anliegen stattgegeben wurde. Die Untertanen stellten sich selbst daher gerne im besten Licht dar. Neben der beschönigenden Darstellung des eigenen Lebenswandels kam es somit häufig auch zu Übertreibungen bei der Schilderung der Notlage. Mitunter wurden sogar Unwahrheiten über die eigene Lebenssituation verbreitet.

Die Bedürftigen als Verfasser von Bittschriften

Das Verfassen der Supplikationen erforderte neben der allgemeinen Schreibkompetenz auch spezifisches Fachwissen. Bei den Bittschriften handelte es sich nämlich um stark formalisierte Schreiben, deren Aufbau klar geregelt war und die einem frühneuzeitlichen Brief ähnelten. Die Bedürftigen hingegen kamen häufig aus nichtalphabetisierten Schichten und traten deshalb nur selten selbst als Verfasser auf. Stattdessen beauftragten sie Andere damit. Dies konnten Advokaten sein, aber auch Lehrer, Pfarrer oder Amtsschreiber – je nach Verfasser variierte dann auch der Grad an Professionalität. Allen gemein war jedoch, dass sie verpflichtet waren, die Gesuche für ein geringes Entgelt oder sogar unentgeltlich zu verfassen, damit weder die mangelnde Schreibfähigkeit noch die möglichen Kosten zu einer Kommunikationsbarriere würden.

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