Armut denken - Armut lenken

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Sprachliche Stigmatisierung von Fremden in der Frühen Neuzeit

Fremdbezeichnungen und Begriffe

Wenn in frühneuzeitlichen Ordnungen von Armen gesprochen wurde, kamen häufig viele verschiedene Vorstellungen zusammen. Es entstanden sprachliche Fremdbezeichnungen für unterschiedliche Gruppen von armen Personen, die häufig auch vermischt und nicht klar voneinander abgrenzbar waren. Insbesondere die Begriffe ‚Bettler‘ und ‚Vaganten‘ bzw. ‚Vagabunden‘ beschrieben eine sehr breite Gruppe von Personen, denen aber allen gezielt negative Eigenschaften zugeschrieben wurden, die sie an den Rand der Gesellschaft trieben.

Weitere problematische Fremdzuschreibungen waren die Begriffe ‚Zigeuner‘, ‚Landstreicher‘ oder auch ‚Gauner‘ und ‚Räuberbanden‘. Bei der Beschreibung dieser Begriffe muss betont werden, dass es sich um negative Fremdzuschreibungen handelte, die bestimmten Personen von der frühneuzeitlichen Gesellschaft zugeschrieben wurden, und nicht um die historische Realität.

In welchem gesellschaftlichen Diskurs die Begriffe ‚fremder Bettler‘, ‚Vagabund‘, ‚Zigeuner‘ und ‚Gauner‘ verstanden wurden, soll hier erläutert werden.

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Jacques Callot: Bettler mit Holzbein. Blatt 15 der Folge „Die Bettler“, 1622 / 1623 © ETH-Bibliothek Zürich, Graphische Sammlung / D 1099.15 / Public Domain Mark 1.0.

Der fremde Bettler

Wenn in obrigkeitlichen Ordnungen fremde Arme thematisiert wurden, waren diese meistens direkt mit dem Begriff ‚fremde Bettler‘ stigmatisiert. Damit ging eine verbreitete Vorstellung des Bettlers einher, der betrügerisch und arbeitsscheu sei. Hinzu kam, dass die Versorgung von Armen eng an deren Zugehörigkeit zu einer Stadt oder Gemeinde gekoppelt war. Insbesondere für fremde Bettler und mobile Arme fühlten sich die Obrigkeiten nicht verantwortlich. Sie wurden im Gegenteil als Sicherheitsbedrohung und Last angesehen und in den meisten europäischen Städten und Gemeinden ausgewiesen und vertrieben. In ihrer Außenseiterrolle waren die Bettler insbesondere durch kaputte und dreckige Kleidung für jeden schnell erkennbar und wurden über Jahrhunderte zu einem Sinnbild für Armut.

Bildnachweis: Jacques Callot: Bettler mit Holzbein. Blatt 15 der Folge „Die Bettler“, 1622 / 1623 © ETH-Bibliothek Zürich, Graphische Sammlung / D 1099.15 / Public Domain Mark 1.0

Jacques Callot: Bettler, 1622 / 1623 © ETH-Bibliothek Zürich, Graphische Sammlung / D 1099.1-25 / Public Domain Mark 1.0

Der Vagabund

Als ‚Vagabunden‘ oder ‚Vaganten‘ wurden Menschen bezeichnet, die keinen festen Wohnsitz hatten und arm waren. Auch wenn eine mobile Lebensform nicht automatisch negativ eingestuft wurde, führte die Kombination mit Armut für die betreffenden Personen in den meisten Fällen zu der Konsequenz, ausgestoßen und stigmatisiert zu werden. Vagabunden wurde zugeschrieben, dass sie ‚herrenloses Gesindel‘ seien, die sich vor Arbeit scheuten und sich durch ihre Faulheit auszeichneten. Außerdem wurden sie oft direkt mit Kriminalität in Verbindung gebracht. Es formte sich ein negatives Bild der Vagabunden, das zu einer negativen Fremdbezeichnung für arme Menschen ohne festen Wohnsitz wurde. Ihnen wurde in den meisten Fällen mit Misstrauen begegnet und von obrigkeitlicher Seite wurden sie aus vielen Territorien ausgewiesen.

Bildnachweis: Jacques Callot: Bettler, 1622 / 1623 © ETH-Bibliothek Zürich, Graphische Sammlung / D 1099.1-25 / Public Domain Mark 1.0

Jacques Callot: Festgelage. Blatt 4 der Folge „Die Bohémiens“, 1623–1624. © ETH-Bibliothek Zürich, Graphische Sammlung / D 12222.4 / Public Domain Mark 1.0

Der Zigeuner

Der Begriff des ‚Zigeuners‘ sollte heutzutage zurecht gemieden werden, da es sich dabei nicht um die Bezeichnung einer real existierenden Gruppe oder Ethnie handelt, sondern um eine Fremdbezeichnung, die negative Zuschreibungen und Vorurteile ausdrückt. Als ‚Zigeuner‘ wurden in der Frühen Neuzeit all jene stigmatisiert, die im Familienverbund umherzogen. Als Teil des sogenannten ‚fahrenden Volkes‘ waren sie der sesshaften Gesellschaft fremd, galten als heimatlos und ihre Identität blieb meist unbekannt. Zu einem Fremdheitsgefühl trug auch eine Geheimsprache bei, die genutzt wurde, um sich gegenseitig vor Übergriffen zu warnen. Diese fremde Lebensweise wirkte verdächtigt, und es wurde ihnen unterstellt, dass sie ihr Leben durch Gaunerei und Diebstahl unterhielten. Die Lebensweise der ‚Zigeuner‘ war demnach bedingt durch ihre Stigmatisierung, beförderte diese allerdings gleichzeitig.

Bildnachweis: Jacques Callot: Festgelage. Blatt 4 der Folge „Die Bohémiens“, 1623–1624. © ETH-Bibliothek Zürich, Graphische Sammlung / D 12222.4 / Public Domain Mark 1.0

Jan van Huchtenburgh: Räuber auf Pferderücken. Blatt 1 der Folge „Reiterszene“, um 1670–1733. © ETH-Bibliothek Zürich, Graphische Sammlung / D 22439 / Public Domain Mark 1.0

Gauner und Räuberbanden

‚Räuberbanden‘ und ‚Gauner‘ prägten den Diskurs um fremde Arme in der Frühen Neuzeit stark mit. Zwar gab es tatsächlich Gruppen von Räubern und Dieben, die ihr Leben durch kriminelle Tätigkeiten bestritten, allerdings übertrugen sich die oft verzerrten Vorstellungen von diesen ‚Räuberbanden‘ auf diejenigen von anderen gesellschaftlichen Gruppen und beförderten deren Stigmatisierung. Sogenannten ‚fremden Bettlern‘, ‚Zigeunern‘, ‚Vagabunden‘ und ‚Landstreichern‘ wurde häufig unterstellt, dass sie mit ‚Diebes- und Räuberbanden‘ gemeinsame Sache machten und einen tiefen Bezug zu kriminellen Personen hatten. ‚Räuberbanden‘ und ‚Gauner‘ standen für organisierte Kriminalität, wie Raubüberfälle, Mord und Erpressung. Gleichzeitig schürten sie in der Gesellschaft die Angst vor Verbrechen und festigten dadurch Vorstellungen und Vorurteile gegenüber Bettlern und mobilen Armen.

Bildnachweis: Jan van Huchtenburgh: Räuber auf Pferderücken. Blatt 1 der Folge „Reiterszene“, um 1670–1733. © ETH-Bibliothek Zürich, Graphische Sammlung / D 22439 / Public Domain Mark 1.0