Armut denken - Armut lenken

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Die Armenmarken aus Münster

Armenmarke von 1699 des Kirchspiels St. Aegidy, Münster

Vorder- und Rückseite der Armenmarke von 1699 des Kirchspiels St. Aegidy, Münster. © Fritz Rudolf Künker GmbH & Co. KG, Osnabrück (www.kuenker.de) / Foto: Lübke & Wiedemann KG, Leonberg.

Armenmarke St. Lamberti, Münster

Armenmarke St. Lamberti, Münster © LWL-Museum für Kunst und Kultur, Westfälisches Landesmuseum, Münster / Münzkabinett / Foto: LWL-MKuK/Stefan Kötz

Armenmarke Überwasser, Münster

Armenmarke Überwasser, Münster © LWL-Museum für Kunst und Kultur, Westfälisches Landesmuseum, Münster / Münzkabinett / Foto: LWL-MKuK/Stefan Kötz

‚Armenmarke’ - das ist ein Begriff, unter dem wir uns heute kaum noch etwas Konkretes vorstellen können, geschweige denn, dass wir uns ausmalen können, welche Bedeutung er für Menschen während des 17./18. Jahrhunderts hatte. Heute sind eher andere Begriffe wie zum Beispiel ‚Essensmarke’ oder ‚Bildungsgutschein’ bekannt. Letzterem kommt die Aufgabe zu, Menschen Zugang zum Arbeitsmarkt zu eröffnen. Arbeitslosengeld II-Empfänger haben dadurch die Möglichkeit, gegen die Vorlage eines Schriftstücks kostenlos an Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen. Die Unterstützung erfolgt im Rahmen der Feststellung der Bedürftigkeit und bedeutet einen Tausch von Ware/Leistung gegen einen Gutschein. Ähnlich verhielt es sich im 17./18. Jahrhundert mit den in Münster ausgegebenen Armenmarken. Auch hier wurde vor der Ausgabe die Bedürftigkeit festgestellt. Für die erteilten Armenmarken konnten Arme außerdem Naturalien eintauschen.

Bevor darauf eingegangen werden kann, welche Funktion die Armenmarke hatte und vor welchem Hintergrund sie als nötig erachtet wurde, werden die Kriterien für eine Empfangsberechtigung aufgezeigt. Dafür ist es erforderlich, nochmal den Bogen zurück zu den würdigen und unwürdigen Armen zu schlagen. Als ‚unwürdige Arme’ galten somit Menschen, die unter anderem dem gesetzeswidrigen Milieu zugeordnet wurden. Diesen gegenüber standen die ‚würdigen Armen’, die durch die Obrigkeit als Gruppe der integrierten, arbeitswilligen und ehrfürchtigen Christen bestimmt wurden.

 Die Armenmarken wurden folglich nur an würdige Arme ausgegeben. Zusätzlich wurde die Bedürftigkeit an das jeweilige Kirchspiel gebunden und weiter differenziert. Menschen mussten auch ‚Hausarme’ sein, um die Armenmarken zu erhalten. Als Hausarmer galt jeder, der seine Bedürftigkeit und einen festen Wohnsitz in der Stadt nachweisen konnte und somit einem der Kirchspiele Münsters zugeordnet werden konnte. Diese Unterscheidung der Zugehörigkeit zu den Kirchspielen lässt sich durch die unterschiedlichen Prägungen der Armenmarken Münsters von 1699 zeigen.

Die münsterischen Kirchspiele, sechs ander Zahl, waren gleichzeitig Verwaltungsbezirke. Der Fürstbischof Friedrich Christian von Plettenberg (1688-1706) wies beispielsweise 1699 die Ausgabe der Armenmarken an. Dabei ist die Rückseite der Armenmarken für alle Kirchspiele gleich, jedoch wird auf der Vorderseite zwischen den sechs Kirchspielen Münsters (St. Lamberti, Überwasser, St. Aegidii, St. Ludgeri, St. Servatii und St. Martini) unterschieden.

Die Ausgabe der Armenmarken wurde in den sechs Kirchspielen von Münster durch die Pfarrer vorgenommen. Nun stellt sich noch die Frage, wieso sie als nötig erachtet wurden und welche Funktion sie hatten. Welche Umstände führten also dazu, dass die Armenmarken zusätzlich zur wöchentlichen Brotausgabe gebraucht wurden?

Zum Ende des 17. Jahrhunderts gab es eine Reihe von Missernten und in der Folge Hungersnöte und Teuerungen. Dies führte zu einer weitreichenden Verarmung der Bevölkerung. Die rasante Entwicklung war auch durch die eingangs erwähnte, permanente Bedrohung, von der sekundären in die primäre Armut zu rutschen, beschleunigt worden. Durch die wachsende Anzahl an Menschen, die sich in unmittelbarer Existenznot befanden und somit in die Städte zogen, sah die Obrigkeit sich mit einem Versorgungsproblem konfrontiert. Die Armenmarken sollten bei der prekären Versorgungssituation dafür sorgen, dass ein Missbrauch bei den Ausgabestellen verhindert wird. Die Hausarmen hatten die Möglichkeit, an diesen Stellen im Tausch für die Armenmarke zum Beispiel Naturalien zu erhalten, um ihre Existenz zu sichern. Es fand ein Tausch von Armenmarken für Unterstützungsleistungen statt.

Es lässt sich also festhalten, dass bei den Ausgabestellen die Armen durch die Armenmarke gekennzeichnet wurden. Alle Beteiligten konnten also feststellen, ob ein Armer ein ‚würdiger Armer’ war.

Armenmarken der drei Kirchspiele St. Ludgeri, St. Martini, St. Servatii, Münster

Armenmarken der drei Kirchspiele St. Ludgeri, St. Martini, St. Servatii, Münster. © LWL-Museum für Kunst und Kultur, Westfälisches Landesmuseum, Münster / Münzkabinett / Foto: LWL-MKuK/Stefan Kötz