Armut denken - Armut lenken

Drucke, Handschriften und Objekte erzählen aus der Frühen Neuzeit


Navigation und Suche der Universität Osnabrück


Hauptinhalt

Topinformationen

Sammlung Osnabrücker Verordnungen (17.06.1768): Niedersächsisches Landesarchiv Abteilung Osnabrück, Bibliothek, 1836 Band VI Nr. 19.

Umgang mit unehelichen Schwangerschaften in Osnabrück (1766/68)

Salzmann erhebt in seinem Roman den Anspruch, „durch eine treue Abbildung des gegenwärtigen Zustandes der Menschen“ die Realität wiederzugeben. Seine Leserschaft soll sich mit dem bemitleidenswerten Schicksal der unehelich schwangeren Frauen identifizieren und für sie Partei ergreifen. Der obrigkeitlichen Strafpraxis wird Grausamkeit, Gleichgültigkeit und Geringschätzung der menschlichen Würde vorgeworfen. Der Leserschaft soll dieses „Elend fühlbar gemacht werden“. Diese literarische Darstellung ist trotz aller Eindringlichkeit eine Fiktion des Autors. Inwiefern bildet sie die zeitgenössischen Verhältnisse jedoch ab?

Die Strafen für uneheliche Schwangerschaften sind im Laufe der Frühen Neuzeit deutlich milder geworden. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatten viele Obrigkeiten eingesehen, dass uneheliche Schwangerschaften auch durch schwere Strafen nicht verhindert werden können. Für sie stand das Problem des Kindsmordes und Kindstodes im Vordergrund. Dies kam zwar selten vor, wurde aber im Rahmen christlicher Wertvorstellungen als besonders gravierend wahrgenommen. Gefängnis- und Geldstrafen bestanden bei Unzucht aber nach wie vor. Junge Frauen, die vor der Ehe schwanger wurden, verheimlichten die Schwangerschaft deswegen oft. Auch die soziale Ausgrenzung wollten sie vermeiden. Bei der heimlichen Entbindung ohne professionelle Hilfe konnte das Kind schnell zu Tode kommen. In Osnabrück hat der Rat der Stadt 1766/1768 deswegen eine Verordnung erlassen.

Blick ins Buch: Sammlung Osnabrücker Verordnungen (17.06.1768): Niedersächsisches Landesarchiv Abteilung Osnabrück, Bibliothek, 1836 Band VI Nr. 19.

Darin werden folgende Maßnahmen getroffen:

  • Die Frau muss die Schwangerschaft umgehend, mindestens aber drei Monate vor der Geburt, dem Amt mitteilen
  • Zur Geburt müssen entweder eine Hebamme oder zwei Frauen, die selbst Kinder geboren haben, als Hilfe herbeigerufen werden
  • Bei einer Totgeburt müssen die Zeuginnen dies sofort dem Amt mitteilen
  • Wenn die Frau die Geburt nicht anzeigt, sich keine Hilfe zur Geburt holt oder ein totgeborenes Kind heimlich begräbt, soll sie unter Schande aus der Stadt getrieben und verbannt werden
  • Hebammen müssen jede ihnen bekannte uneheliche Schwangerschaft beim Amt melden
  • Wer bei einer Geburt zur Hilfe gerufen wird darf dies nicht ablehnen
  • Wenn Eltern, Dienstherren oder andere Personen bei einer Frau in ihrem Haushalt eine uneheliche Schwangerschaft bemerken, sollen sie dies dem Amt oder einer Hebamme melden. Sonst drohen ihnen Geldstrafen.
  • Die Totengräber sollen ohne amtliche Genehmigung keine toten Kinder begraben
  • Personen, die Prostitution in Anspruch nehmen und Frauen, die sich prostituieren, sollen unter Schande aus der Stadt getrieben und verbannt werden.
  • Der Stadtrat möchte verhindern, dass „Kinder […] gewaltsamer Weise um das Leben gebracht, oder verwahrloset“  werden.

Der Stadtrat wollte mit dieser Ordnung verhindern, dass „Kinder […] gewaltsamer Weise um das Leben gebracht, oder verwahrloset“ werden. Daher sollen die Maßnahmen sicherstellen, dass bei jeder Geburt immer sachverständige Frauen anwesend sind. Der Schutz des Kindes hatte oberste Priorität – auch vor dem Wohlergehen der Mutter.