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Blick in die Quelle(n) - Zwei Quellenbeispiele des 16. Jahrhunderts: Die Leisniger Kastenordung von 1523 und die Trierer Bettlerordnung von 1533

Martin Luther: Ordenung eyns gemeynen kastens. Radschlag wie die geystlichen gutter zu handeln sind,1523. © Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena | URN: nbn:de:urmel-14f6561f-350e-475b-bcf2-f011baaa475f3 | CC BY-NC-SA 4.0

Blick in die Quelle(n): Die Leisniger Kastenordnung von 1523

Schauen wir uns nun ein Beispiel so einer Ordnung genauer an: Die Leisniger Kastenordnung wurde 1523 und somit kurz nach Beginn der Reformation veröffentlicht. Als Verfasser beziehungsweise Auftraggeber stand jedoch kein Landesherr oder Bischof im Hintergrund, sondern die Bürger der Gemeinde. Für die Leisniger Ordnung hat kein geringerer als der Reformator Martin Luther (1483–1546)  ein Vorwort geschrieben und ihren Inhalt gemeinsam mit den Verfassern und Predigern Heinrich Kind und Johann Gruber im September 1522 erarbeitet und gestaltet. Anfang 1523 wurde die Kastenordnung von der Leisniger Gemeinde angenommen und konnte gedruckt werden. 

Wirft man einen Blick in die Ordnung, so stellt man fest, dass der Kasten nicht ausschließlich zur Versorgung der Armen eingerichtet wurde. Tatsächlich sollten vorrangig die Kirchenmänner und der Küster in Leisnig sowie zwei Lehrkräfte für die Kinder der Gemeinde bezahlt werden.  Arme, Waisenkinder oder arbeitsunfähige Handwerker sollten dennoch finanziell und materiell unterstützt und auch sogenannten ‚fremden Armen‘ sollte Hilfe beim Broterwerb und der Arbeitsbeschaffung angeboten werden.  Über allem stand – wie auch in der Trierer Ordnung erkennbar – der Wille, alle Handlungen gegenüber bedürftigen Mitmenschen aus christlicher Liebe zu tun.

Beaufsichtigt wurde der Kasten von zehn Vorstehern, die zu Beginn jedes neuen Jahres von der Gemeinde gewählt und eingesetzt werden sollten. ‚Standesheterogenität‘ war hier das Stichwort: Die Vorsteher bestanden aus zwei Adeligen, zwei Ratsmitgliedern, drei Bürgern und drei Bauern. Jedem Stand oblag die Verwahrung eines Schlüssels zum Armenkasten, der mit vier Schlössern gesichert wurde.  Zwei von ihnen sollten unter anderem an den Sonntagen „mit zweien seckleyn oder taffeln“ in der Kirche umhergehen und um Almosen für die Armen bitten.  Bettelei von Mönchen oder Umherziehenden wurde auch in Leisnig konsequent verboten. Bettlerinnen und Bettler sollten, sofern sie nicht die Bereitschaft zur Arbeit zeigten, ausgewiesen werden. Eine Ausnahme galt für diejenigen, die während ihres Aufenthalts in einer ihnen fremden Stadt krank oder arbeitsunfähig wurden. Sie wurden durch die Spenden des gemeinen Kastens versorgt.
Für den Fall, dass die Gaben innerhalb des Kastens nicht zur Versorgung der Armen ausreichten, sollte jeder Einwohner des betreffenden Kirchspiels „für sich sein weib und kinder ierlichen ein gelt zulegen“, also eine Zusatzzahlung in den Kasten abgeben.

Blick in die Quelle(n): Die Trierer Bettlerordnung von 1533

Ähnliches – wenn auch aus katholischer Sicht – findet sich in unserem zweiten Quellenbeispiel. Hier steht klar ein Herrscher als Auftraggeber hinter der Ordnung, was die Trierer allein dadurch formal von der Leisniger Ordnung unterscheidet: Der katholische Trierer Erzbischof und Kurfürst Johann III. von Metzenhausen (1492–1540)  beschloss im Jahr 1533, dass „in einer jetlichen pfarrkirchen ein sunderlicher stock auffgericht“ , also ein sogenannter ‚Armenstock‘ in jeder Kirche stehen sollte. Hierin wurden das von der Gemeinde gespendete Geld oder auch Sachspenden vor der Verteilung an Bedürftige aufbewahrt.

Kurfürst Johann III. legte in seiner Ordnung zudem fest, dass die Spitäler und Gotteshäuser in seinem Territorium die Spenden gut und sicher verwahrten und dass niemand übergangen werden sollte, der zum Almosenerhalt berechtigt war.  Doch damit nicht genug: Zwei Schlösser sicherten den Armenstock, die Schlüssel dazu besaßen der Pfarrherr und zwei Männer aus der Gemeinde. Die letzteren beiden wurden alle drei Monate neu gewählt und sollten die Almosen nach bestem Gewissen vergeben.  Neben armen Menschen erhielten aus dem Armenstock einer Gemeinde im Kurfürstentum die „erbaren züchtigen und tugendhafftigen weibßbilden zu ehesteuer“ ihren Anteil, und auch für das Schulgeld sollten die Spenden zur Verfügung stehen.  Die Berechtigung zum Empfang eines Almosens wurde durch das Tragen eines Zeichens an der Kleidung deutlich gemacht. Darüber hinaus mussten sich diese Bedürftigen in eine Liste eintragen.

Bezüglich des Umgangs mit sogenannten fremden und umherziehenden Armen hatte der Erzbischof einen klaren Standpunkt: Sie blieben von der Fürsorge ausgeschlossen. Konnte man allerdings als nichtheimischer Armer eine Bettelbescheinigung vorzeigen, so durfte man auf ein Almosen hoffen.  Das Betteln sollte jedoch für die Untertanen des Trierer Erzbischofs im gesamten Territorium verboten bleiben.
Mit seiner Bettelordnung wollte Johann III. verdeutlichen, dass die beschriebenen Taten zur „ehr gottes und lieb des nechsten“ gereichen sollten und den Armen Respekt entgegengebracht werde.   Die Ordnung steht somit laut Forschung in der Tradition der altgläubigen Vorstellung vom Almosen als Mittel zur Sündenbuße und zur Verrichtung von guten, gottgefälligen Werken.

Im Vergleich fällt auf: Beide Ordnungen legten genau fest, wer zum Empfang von Spenden aus einer zentralen Kasse – zum Beispiel aus dem Stock oder dem Kasten – innerhalb der Gemeinde berechtigt sein sollte, wer also de facto als arm und unterstützungswürdig galt. Dies bezog sich jedoch in beiden Fällen ausschließlich auf die einheimischen Armen; wer fremd und von außerhalb war, wurde in Trier von der Fürsorge ausgeschlossen oder aus dem Ort hinausgewiesen, während man in Leisnig Unterstützung erhielt, solange man nach Arbeit suchte. Damit es bei der Verwahrung und Verteilung der Almosen ordentlich zuging, wurden sowohl in Trier als auch in Leisnig Männer aus der Gemeinde dazu bestellt, die Gelder zu beaufsichtigen. Während an beiden Orten die Armenkasse mehrfach gesichert werden sollte, unterschieden sich die zur Sicherung bestimmten Männer aufgrund ihres Standes: In Leisnig kümmerten sich zehn Vertreter aus vier unterschiedlichen Schichten um die Almosenverwahrung, in Trier dagegen hatten neben dem Pfarrer zwei weitere Männer, deren Standeszugehörigkeit ungeklärt bleibt, diese Aufgabe inne. Gemein ist beiden Ordnungen – trotz aller konfessioneller Unterschiede – der klar formulierte Wille, im Sinne der Nächstenliebe zu handeln.

Vergleich in Tabellenform

Mit den beiden Quellen aus Leisnig und aus Trier haben wir Beispiele normativer Regelungen kennengelernt, die von Herrschenden für ihre Untertanen und ihr Territorium erlassen wurden. In der nachfolgenden Tabelle werden wichtige Punkte der Ordnungen in komprimierter Form dem gegenübergestellt, was Rumpel in seiner Schrift „Über Versorgung der Armen” als theoretische Grundsätze diskutiert. Bei diesem Vergleich muss bedacht werden, dass es sich um unterschiedliche Quellenarten und daher auch um unterschiedliche Hintergründe handelt: Während die Ordnungen in Leisnig und Trier darauf ausgelegt waren, in ihrem jeweiligen Gebiet die ‚gute Ordnung‘ im Sinne der/des Regierenden herzustellen oder zu erhalten, bewegt sich Rumpel in seiner Schrift auf einer rein theoretischen Ebene. Konkret: Es ging ihm nicht darum, für ein bestimmtes Territorium eigene Regeln nach seinem Gewissen aufzustellen, sondern aufzuzeigen, wie eine neue Armenversorgung aussehen könnte.

© Universität Osnabrück | M. Brune / A. Pohlmann / A. Tiedtke