Armut denken - Armut lenken

Drucke, Handschriften und Objekte erzählen aus der Frühen Neuzeit


Navigation und Suche der Universität Osnabrück


Hauptinhalt

Topinformationen

Kasten, Kasse, Kirche? Die Armenfürsorge im Wandel der Zeit

Gotteskasten aus der Gutskapelle Heiligenthal (Opferstock), 16. Jahrhundert. © Museum Lüneburg

Gotteskasten aus der Gutskapelle Heiligenthal (Opferstock), 16. Jahrhundert. © Museum Lüneburg

Mit seinen Überlegungen „Ueber Versorgung der Armen“ brachte H. E. Rumpel (1734–1794) grundsätzlich kein neues Thema in den Diskurs ein: Schon Jahrhunderte vor ihm hatten sich Geistliche und Gelehrte zu diesem Thema geäußert, während sich die Landesherren im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation um konkrete Vorgaben zur Verpflegung und Unterbringung ihrer armen Untertanen bemühten. Festgehalten wurden diese Bestimmungen in Armen- und Bettelordnungen, die ab dem 16. Jahrhundert vermehrt durch den Eingriff städtischer Obrigkeiten in schriftlicher Form veröffentlicht wurden.  Wie aber sahen die Maßnahmen der Armenfürsorge aus? Auf welcher Grundlage argumentierten die Ordnungen und was waren ihre konkreten Ziele?

Um diese Fragen beantworten zu können, springen wir etwa 500 Jahre zurück, nämlich in die Zeit um 1520. Martin Luther hatte soeben die katholische Kirche und ihren Ablasshandel kritisiert, eine neue Konfession bildete sich langsam heraus, doch Kirche und Glauben waren nach wie vor wichtige Grundpfeiler im Leben der Menschen. Geprägt von der Vorstellung, die eigenen Sündenstrafen durch Handlungen im Sinne der Nächstenliebe, der sogenannten ‚caritas‘ , zu tilgen, hatten Kirchen schon im vorangegangenen Mittelalter zahlreiche Spendengelder von den Menschen innerhalb der Gemeinden einnehmen können. Neben dieser Almosenabgabe sorgten Klöster und Spitäler für die Unterstützung von Armen und Bedürftigen.

Durch Luther erfuhr die Bedeutung der Almosenspende eine Veränderung: Sie wurde nicht mehr als Mittel zur Erlangung des persönlichen Seelenheils angesehen, das die spendende Person im Gegenzug für ihre Gabe erhielt. Dieses Tauschgeschäft hatte nun laut Luther keine heilbringende Wirkung mehr, sondern war lediglich Zeugnis des Glaubens des Almosengebers oder der -geberin.  Die Folge: ein stetiger Rückgang der Spendenbereitschaft innerhalb der Gemeinden.  Zur Lösung des Bettelproblems und zur Sicherung der allgemeinen Ordnung griffen im Laufe des 16. Jahrhunderts vermehrt die Obrigkeiten in die Organisation des Bettel- und Armenwesens ein.

Unabhängig von der Konfession verstanden sich die Herrscher und Regierenden im göttlichen Auftrag zur Organisation der Armenfürsorge und zur Klärung grundlegender Fragen im Umgang mit Armen. Kein Wunder also, dass in den Bestimmungen die Legitimation durch „Gottes Gnaden“ und der Verweis auf die göttliche Ordnung als Grundlage der Texte mitschwingen.  Dennoch lassen sich konfessionelle Spezifika erkennen: Kennzeichnend für die Armenpflege innerhalb der reformatorischen Kirche war die Versorgung der Armen aus einem sogenannten ‚gemeinen Kasten‘, einer Armenkasse. So ein Kasten wurde beispielsweise 1523 in Leisnig eingerichtet.  Obwohl das Almosengeben außerhalb dieser zentralen Kasse verboten war, fanden gerade während extremer Hungerkrisen vermehrt individuelle Spendenabgaben statt.  Dass Spendenkästen auch in katholischen Gemeinden genutzt wurden, zeigt das Beispiel der Trierer Bettlerordnung aus dem Jahr 1533.

Im Umgang mit Bettel- und Armenordnungen ist es wichtig zu wissen, dass wir es mit normativen Quellen zu tun haben, die lediglich eine ‚Wunschvorstellung‘ oder den herzustellenden Idealzustand beschreiben. Ob und wie die Regelungen in der Praxis vollständig umgesetzt wurden, kann nur durch die Betrachtung dieser Ordnungen nicht gesagt werden.